Hey, mein Problem hat einen Namen. Nicht nur irgendeinen Namen, sondern einen französischen: Fatigue.
Aber nur weil Ärzte einen Namen für mein Problem haben, heißt das nicht, dass sie auch wissen was mir fehlt. Wie auch? Ich habe ja selbst genug Schwierigkeiten, es für mich irgendwie klar zu kriegen.
Da es auch keine Maßeinheit für die Lebenskraft gibt, die für die Bewältigung des täglichen Lebens zur Verfügung steht, ist es für Betroffene schwer, Angehörigen und Freunden, sowie Ärzten ihren empfundenen Erschöpfungsgrad zu vermitteln.
Auch fehlt vielen Angehörigen und Freunden, sowie auch einigen Ärzten, die Möglichkeit sich in den Zustand des Patienten hinein zu versetzen. Um die Situation besser verständlich zu machen, kann vielleicht folgender Vergleich (gefunden in der Broschüre 18 Fragen und Antworten zu tumorbedingter Fatigue, der Gesellschaft zur Erforschung tumorbedingter und anderer Erschöpfungszustände) hilfreich sein:
Angenommen, normalerweise stehen einem Menschen 10 Euro pro Tag für die Deckung des täglichen Bedarfs zur Verfügung. Davon kauft er Lebensmittel, Kleidung und alles, was sonst so Tag für Tag benötigt wird. Durch widrige Umstände wird die Summe Geld, die der Mensch täglich ausgeben kann, aber plötzlich auf 5 Euro reduziert.
Dann bleibt gar nichts anderes übrig, als zu sparen. Vermutlich werden zunächst Dinge im Regal stehen gelassen, die nicht unbedingt benötigt werden. Die Pralinen oder der teure Schinken fallen also weg. Aber auch bei Beschränkung auf das Allernotwendigste wird es wahrscheinlich immer noch schwer sein, mit den 5 Euro auszukommen.
Ganz ähnlich verhält es sich dabei mit der Energie, die zur Bewältigung des Alltags zur Verfügung steht. Man verrichtet damit solche Tätigkeiten wie Kochen und Putzen. Aber man kann damit auch in die Stadt fahren, um Essen zu gehen oder sich eine schöne Vorstellung im Theater anzuschauen.
Durch Fatigue und die damit einhergehende Erschöpfung wird den Betroffenen nun ganz unvermittelt ein Großteil dieser Kraft genommen. Auch hier werden zunächst einmal diejenigen Tätigkeiten vermieden, die nicht unbedingt erforderlich sind, beispielsweise auswärts essen oder ins Theater gehen.
Doch selbst, wenn diese schönen Dinge des Lebens wegfallen, fällt es immer noch schwer, mit der zur Verfügung stehenden Energie die alltäglichen Aufgaben zu erfüllen. Putzen, Kochen und selbst die eigene Körperhygiene werden zur Last. Ebenso wie man mit weniger Geld ganz anders haushalten muss, ergeht es Fatigue-Kranken mit ihrer Energie.
Um diese schwierige Situation zu meistern ist es hilfreich, folgende Regeln zu beherzigen, die für jeden menschlichen Körper gilt:
-Unterforderte Strukturen werden abgebaut,
-Überforderte Strukturen werden zerstört!
Der eine Teil dieser Regel ist offensichtlich. Wenn nur 5 Euro am Tag zur Verfügung stehen, aber regelmäßig 7 Euro ausgegeben werden, sammelt sich irgendwann ein großer Schuldenberg an. Es fehlen nicht nur jeden Tag 2 Euro, für das geliehene Geld, sondern es müssen auch noch Zinsen gezahlt werden. Irgendwann wird gar kein Geld mehr zur Verfügung stehen. Auch hier verhält es sich mit der Energie parallel.
Wer über das Ziel hinausschießt und sich an einem Tag vollständig verausgabt, zahlt am nächsten Tag mit Zinsen zurück. Gibt man jedoch weniger aus als zur Verfügung steht, kann man immer ein bisschen zur Seite legen, um sich irgendwann eine größere Anschaffung zu leisten.
Hier hört die Parallele des Vergleichs leider auf.
Mit der Kraft verhält es sich anders:
Wer sich einen oder mehrere Tage vollständige Ruhe gönnt, kann nicht darauf hoffen, dass die geparte Kraft die Energie erhöht. Vielmehr wird sich die unterforderte Struktur abbauen. Es wird also immer weniger Kraft zur Verfügung stehen, die Reserven verringern sich kontinuierlich. Es kommt also darauf an, weder zu viel noch zu wenig zu tun, da sonst entweder eine übermäßige Erschöpfung eintritt oder sich die Kondition verringert.
In diesem Text ist von widrigen Umständen die Rede, die dazu geführt haben, dass mir jetzt von meinen ursprünglich 10 Euro nur noch 5 Euro zur Verfügung stehen um meinen täglichen Bedarf zu decken.
Diese widrigen Umstände würde ich als einen brutalen Überfall bezeichnen, bei dem mir nicht nur 5 Euro gestohlen wurden, sondern mir bis auf 5 Cent nichts blieb.
Immer, wenn ich dachte, ich hätte wieder ein paar Cent dazu verdient, wurden sie mir erneut weggenommen, so dass ich sehr lange Zeit mit sehr wenig Geld auskommen und immer befürchten musste, dass man mir die restlichen 5 Cent auch noch nimmt.
Was nach der Transplantation dann tatsächlich der Fall war. Mir blieben nur 2 Cent übrig und davon waren auch noch wenigstens 1,5 Cent von meiner Freundin geliehen.
Für jemanden, der lange mit wenig Geld auskommen musste, sind 5 Euro schon eine ganze Menge. Dennoch reicht es nie!
Der Überfall hat eindeutig stattgefunden. Dafür gibt es immer noch genügend Beweise und viele Zeugen für die Tat gibt es auch. Falls jemand eine Beschreibung des Täters haben möchte, braucht er nur in der Fahndungsliste unter akuter Leukämie und unter Fremdspender Knochenmarktransplantation nachsehen.
Okay, ich sehe vielleicht wieder so aus als hätte ich meine 10 Euro zurück. Aber egal was ich auch tue, es sind immer nur diese 5. Das Verrückte daran ist auch, dass je mehr ich mich anstrenge, um mehr Geld zu bekommen, desto weniger habe ich am Ende in der Tasche.
Jeden Tag hoffe ich, dass mir wenigstens wieder diese 5 Euro zur Verfügung stehen, aber z.B. durch die Hitze im Sommer, verliere ich, wie jeder Mensch 1-2 Euro. Aber ich glaube, es macht schon einen Unterschied, ob man dann mit 9 oder nur mit 4 Euro auskommen muss.
Zeitweise kommt es vor, das ich mit meinem Geld auch nicht mehr umzugehen weiß, d.h. ich plane meinen Tag als hätte ich 10 Euro in der Tasche. Dann stehe ich im Geschäft und stelle voll Entsetzen fest, dass ich 4,50 Euro von meinen ursprünglich sowieso nur 5 Euro schon ausgegeben habe und ich mir somit das, was ich mir eigentlich kaufen wollte, nicht mehr leisten kann, weil mir ganze 5,50 Euro fehlen. Hoffentlich hat der Verkäufer für meine Situation Verständnis.
Ich versuche mich dann mit dem Gedanken zu trösten, was ich mir alles mit den 4,50 Euro geleistet habe. Für jemanden der 10 Euro hat sind 4,50 Euro weniger als die Hälfte. Für mich ist es im Augenblick fast alles.
Hoffentlich glaubt jetzt niemand, dass ich mich schon mit diesen 5 Euro zufrieden gegeben habe. Aber schön wäre es, wenn man sehen würde, dass ich seit der Transplantation 4,98 Euro dazu verdient habe und nicht, dass mir immer noch ganze 5 Euro fehlen.
Wobei man aber wiederum nicht vergessen darf, das dies nur möglich war, weil ich das große Glück hatte und auch noch habe, wann immer der Gedanke an eine evtl. Insolvenz kam oder kommt, sofort ein zinsloser und tilgungsfreier Kredit von meiner Familie und meinen Freunden zur Verfügung steht.
Da mir nun mal im Moment nur diese 5 Euro zur Verfügung stehen kann ich auch nur mit dieser Menge Euros rechnen. Ich weiß nicht, ob ich noch mal im Lotto gewinne. Ich hoffe täglich auf ein paar Cent mehr. Aber daran, dass es je wieder 10 Euro sein werden, glaube ich nicht. Dafür hat der Überfall ein zu großes Loch in meine Tasche gerissen. Und diese Hosentasche lässt sich auch nur sehr schwer flicken, weil der Stoff einfach morsch ist. Somit gehen immer wieder Münzen verloren.
Die Möglichkeit, sich eine neue Hose (einen neuen Körper) zu kaufen, gibt es nicht. Jeder muss mit der Hose nun mal weiter herumlaufen, die er hat. Jetzt sagt bestimmt jemand: „Deine Hose ist doch noch nicht alt, da musst du doch was machen können“.
Das ist richtig. Meine Hose ist erst 36 Jahre alt. Aber sie hat schon Dinge mitgemacht, bei denen noch viel neuere Hosen total kaputt gegangen sind. Ja, du hast Recht, es gibt auch andere Hosen, denen man nicht wirklich etwas anmerkt. Aber glaube mir, bisher ist mir niemand begegnet, dessen Hose davon keine Risse zurück behalten hat.
Wie soll es überhaupt gehen, dass eine Hose diese harten chemischen Reinigungen und Strapazen unbeschadet übersteht? Mehrfach wurde das Innenfutter größtenteils heraus gerissen und notdürftig geflickt. Zu guter Letzt wurde das komplette Eigenfutter herausgetrennt und sie bekam ein anderes von einer ganz anderen Marke. Das neue Futter passt bei mir zwar sehr gut, aber glaubt jemand immer noch, dass das keine Spuren an der Hose hinterlässt?
Vielleicht sind diese Spuren für Andere nicht sichtbar, aber vertraut bitte dem Träger des Kleidungsstückes, wenn er dir sagt: „Die Hose ist nicht mehr die alte.“
Wahrscheinlich genauso wenig, wie ihr Träger!
Kirsten Funke